Klang und Stille

Die spirituelle und geistige Lebensphilosophie erblüht und entwickelt sich aus der Tiefe des Herzens. Wie wird Herzensliebe und Hingabe entwickelt, um dem eigenen Leben die Philosophie der Spiritualität zu schenken? Jene Spiritualität, die den Reichtum des Yoga- und Meditationsweges ausmacht.

Die facettenreichen Klänge der Natur, die Gebete der Mutter Erde und die himmlischen Gesänge des Himmels zu erfahren, ist ein Grundstein dieser spirituellen Ausrichtung. Ein Mosaikstein, der das Gemälde der Spiritualität zu einem grossen Ganzen wachsen lässt. Dieser reine Kosmos gedeiht aus der Tiefe des Herzens und manifestiert sich in der ureigenen und reinen Ausstrahlung des einzelnen Menschen. Der harmonische Klang der Stimme und die Melodie der Persönlichkeit wirken von innen nach aussen und vermögen Herzen zu berühren. Unfassbar schön sind die Klänge des Herzens, die aus einer tiefen Stille hörbar und erfahrbar zur Melodie der Lebensphilosophie führen.

Die Qualitäten der bewussten Wahrnehmung und der fein ausgerichteten Sinne führen in die Erlebniswelt der Klänge. Die Wirkung der Klangschwingungen führt in eine unmittelbare Verbindung und Resonanz, je tiefer man sich drauf einlassen kann. Die Konzentration wird auf die Klänge gelenkt, dabei entsteht ein Raum der vertieften Empfindung für Töne und Rhythmen. So wird eine Geisteshaltung kultiviert, die sich vollkommen diesem wundervollen Raum öffnet. Sich innerlich frei zu machen und loszulassen von allem was bindet, blockiert und zurückhält, lässt noch tiefer in die stimmungsvolle Klangwelt eindringen. Dieser neuartige und magische Raum ist so still und doch von so viel Klang und Gesang erfüllt, dass sich das Herz mit Freude, Glücksgefühl und Liebe füllt.

Ein erster Schritt sich den Klängen und Schwingungen zu öffnen, können bewusst erlebte Erfahrungen in der Natur sein. Sich inmitten der Natur den Klängen des Windes, des Wassers, des Feuers, der Erde und des Raumes hinzugeben, kann zu einem bereichernden und inspirierenden Erlebnis werden. Wenn alle Sinne aus der meditativen Versenkung des Herzens bewusst nach aussen geführt werden, sind die Geräusche und Klänge der Natur unmittelbar zu hören und zu fühlen. Sie führen in einen Zustand der Freude und lassen eine klare und entspannte Stille entstehen. Die feine Brise des Windes lässt die Haare sanft in Bewegung kommen, ein leiser Klang berührt das Ohr, lässt geniessen und führt auf die Herzensebene. Mit einer gewaltigen Kraft rauschen die mächtigen Wellen an den Strand und ziehen sich geräuschvoll wieder zurück. Dabei entsteht ein wiederkehrender Klangrhythmus, der den immerwährenden Bewegungen des Atems gleicht. Das knisternde Feuer lässt innere Wärme und Wohlbefinden spüren und der kräftige, wohlriechende Geschmack der Erde lässt Stabilität und Ausgeglichenheit gedeihen. Ein weiter Raum öffnet sich, gleich der Freiheit eines Adlers, wenn er seine Flügel weit ausbreitet und über die Unendlichkeit der Bergwelt schwebt. Die klangvollen Erfahrungen der Elemente vereinen sich in dieser reinen Stille und lassen den Klang der Spiritualität erblühen. Die Geräusche der Natur führen zurück an den Ursprung allen Seins und verbinden mit allen Aspekten der mütterlichen Erde. Diese Erfahrungen in der Natur sind erste Praxisschritte zur bewussten Wahrnehmung von Klängen und deren Wirkung. Denn hier offenbaren sich die Klänge der Mutter Erde in all ihrem Facettenreichtum.

Töne und Klänge vermögen das Sein des Menschen zu berühren. In Form von Mantras, Gebeten und Gesängen führen sie in der Yoga- und Meditationspraxis in eine tiefe Bewusstheit, in einen achtsamen Raum des Herzens. Die Vibrationen der hörbaren und fühlbaren Klänge schaffen eine elementare Basis für die Weiterentwicklung des Yogas zu einer spirituellen und geistigen Praxis. Das verbindende Glied wird dabei über die Liebe des geistigen Herzes kultiviert. Der Klang der Liebe, der mit Mantras, Gesängen und Gebeten aus der Tiefe einer klaren Hingabe an die universelle geistige Kraft gerichtet ist. Diese starke Urkraft wirkt aus dem gegenwärtigen Raum durch die klangvolle Sprache des Herzens.

In jeder Yogatradition gibt es Klänge, die näher in die Ursprünglichkeit führen und eine Verbindung zur geistigen Natur herstellen. Denn Mantras, Gebete und Gesänge sind auf dem Weg des Yogas und der geistig spirituellen Entwicklung das Instrument, um sich in eine kontemplative innere Haltung zu versenken und reine Bewusstseinszustände zu kultivieren.

Im Hinduismus und Buddhismus spielen Mantras eine bedeutende Rolle, sie werden traditionell mündlich überliefert und in das eigene «Sadhana» eingebunden. Das Rezitieren von Mantras dient der inneren Versenkung und der Hingabe an Shiva, Krishna oder Buddha. Dabei werden je nach Tradition und Praxis die reinen Qualitäten von Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut ins Zentrum der Praxis gestellt. Die Silbe «Aum» oder «Om» wird als das stärkste Mantra angesehen, weil es den gesamten Kosmos beinhaltet. In der christlichen Tradition werden das «Vater unser» und «Ave Maria» in Verbindung mit dem Rosenkranz in stimmvolle und rhythmische Gebete eingebunden. Ein weiterer klangvoller Aspekt sind die Liturgischen Gesänge, die in der Tiefe des Herzens verbindend wirken.

Die vedische Tradition ist sich der enormen Kraft positiver Klangschwingungen bewusst. Seit Jahrtausenden werden die vedischen Gesänge und Mantras in der mündlichen Überlieferung und später auch in schriftlicher Form weitergegeben. Die vedischen Gesänge vermögen das gesamte Sein in eine Ausgeglichenheit zu bringen, verteilen diese Harmonie über den gesamten Organismus und in die Räume des gesamten Universums. Die menschliche Stimme hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Wirkungsweise. Das berühmteste Mantra der Veden ist das Gayatri Mantra, das das äussere Licht der Sonne, als Wiederspiegelung des inneren Lichtes preist.

Der Buddhismus schenkt den Praktizierenden einen unendlichen Reichtum an Mantras, um reine Qualitäten und Bewusstseinszustände zu kultivieren. In der tibetischen Tradition entfaltet sich eine reiche Bilder- und Klangwelt, verschiedenen Buddhas werden spezielle Qualitäten, Klangsilben und Ausstrahlungsenergien zugeordnet. Jede Buddha- oder Bodhisattvaform hat ein eigenes Mantra, das einen tiefen Wert in der spirituellen Praxis innehat. Der Praktizierende verbindet sich über den Klang des Mantras direkt mit den Qualitäten und kultiviert diese auf der Herzensebene. Die weibliche Form eines Buddhas, auch Tara benannt, wird als mütterlicher Aspekt verehrt. Sie erscheint in 21 verschiedenen Formen, die sich durch ihre Farbe und Position unterscheiden. Die bekanntesten Formen im tibetischen Buddhismus sind die grüne Tara und die weisse Tara. Shyama Tara oder grüne Tara, die grüne Befreierin, ist eine weibliche, friedvolle Buddhaform. Ihr klangvolles Mantra «om tare tuttare ture soha» kultiviert die Qualitäten der Güte und des Mitgefühls. Die weisse Tara symbolisiert die transzendentale Wahrnehmung und vollkommene Reinheit. Die Praxis mit ihrem Mantra «om tare tuttare ture mama ayuh punya jnana pustim kuru soha» soll ein langes und gesundes Leben schenken.

In der christlichen Tradition spielen Gebete und Gesänge eine Rolle. Gebete, die an den Vater, das väterliche Prinzip oder an die Mutter, den mütterlichen Aspekt gerichtet sind. Die klangvolle Praxis dient dem zentralen Akt der Versenkung und der Hingabe. Ein tiefwirkendes Gebet aus der christlichen Tradition ist die Anrufung der göttlichen Mutter: «Göttliche Mutter, die du uns empfängst auf Erden wie im Himmel. Deine geistige Gegenwart lebe in unserer Seele, dein Licht nehme in uns Gestalt an, dein Geist reinige alle Dinge in der Einheitlichkeit der Welten. Lass jeden Tag für uns zu echter Nahrung werden, lass uns bewusst werden an welchem Mangel wir leiden und gibt uns die Kraft, jedem die Hand zu reichen, der stolpert. Schenke uns ein klares Unterscheidungsvermögen und hülle uns in die Sonne deiner Liebe, die sie ist unsere einzige Heimat».

Das gesamte Leben ist Klang, Rhythmus und Schwingung. Der Schlüssel des bewussten Erlebens der vielschichtigen Klänge des Universums ist Achtsamkeit und Offenheit für die Welt der Klänge. Mit den Klängen der Natur in Resonanz zu kommen, ist in der hektischen Alltagswelt nicht immer einfach, denn das moderne Leben folgt weniger den natürlichen Klängen und Schwingungen. Geprägt von technologischer Schnelllebigkeit, digitaler Informationsflut und einer unüberschaubaren Fülle von Möglichkeiten, prägt der von aussen auferlegte Takt das alltägliche Leben. In dieser Zeit, die von Hektik und Stress geprägt ist, kann eine Klangmeditation mit den Schwingungen von Klangschalen in die Stille führen. Die angeschlagenen Töne wirken bis tief in alle Schichten des Seins, sodass der Meditierende in Resonanz mit den Klängen kommt. Die erzeugten Schwingungen wirken und lassen in eine wechselseitige Beziehung mit den Klängen kommen. Je weiter sich der Raum für die Klangschwingungen öffnet, umso tiefer wirken die Klänge. Darin entsteht ein Zentrum der absoluten Stille, gleich dem Auge eines Hurrikans. Aus der Tiefe dieser unendlichen Stille erstrahlen die reinen Klänge des Herzens.

«La rencontre pure avec les sons, leurs oscillations et leurs vibrations a un effet transformateur sur l'ensemble de l'être».